Mittwoch, 13. März 2013

Das Problem mit dem System

In meinem letzten Post habe ich etwas angesprochen, das ich nicht einfach unerklärt so stehen lassen kann. Mir ist im letzten halben Jahr immer wieder aufgefallen, dass hier viele Schüler Probleme mit selbständigem, strukturiertem und kritischem Denken Probleme haben.
 Das äußert sich beispielsweise in Präsentationen über Themen wie Menschenrechte oder Umweltschutz. Meistens lesen sie dann nur eine quelle aus dem Internet vor, ohne sich dazu eine eigene Meinung zu bilden oder gar Quellen zu vergleichen. Und was mich immer wieder schockiert, ist, dass niemand sich dafür zu interessieren scheint, was gerade in der Welt vorgeht. Kurz nach der US - Präsidentschaftswahl hat eine Lehrerin gefragt, wie denn Obamas Konkurrent hieß. Keiner wusste es. Dann hat sie gefragt, wer Justin Biebers Freundin ist. Alle wussten es. Tja, man muss eben Prioritäten setzen... Außerdem haben sie oftmals Schwierigkeiten bei den berüchtigten Transferaufgaben. Die verschiedenen Sorten von Reißverschlüssen können mir alle herbeten, aber bei der Anwendung von Wissen und eigenständigem Schlüsseziehen hakt es oft noch.

Damit möchte ich auf keinen Fall sagen, dass alle Indonesier dumm sind. Nein, das Problem ist, dass die Schüler nie gelernt haben, selbständig zu denken.

In Indonesien kann man nach zwei Minuten Unterhaltung bereits sagen, ob das Gegenüber arm oder wohlhabend ist. Nicht am Aussehen, nicht an der Kleidung, nur an der Sprache. Die Reichen können nämlich englisch. Das Schulsystem hier funktioniert leider so, dass nur die gut sein können, die sich die teuren Extrakurse leisten können. Deswegen gehen schon Vorschulkinder zum Englischkurs. Wer es sich nicht leisten kann, hat Pech gehabt. Die Lehrer sind schlecht bezahlt und oft auch schlecht ausgebildet. Die extrem festgeschriebenen Lehrpläne erlauben so gut wie keine Zeit für Nachfragen, zusätzliche Erklärungen oder zusätzliche Übungen. Wenn man nachfragt, fährt einem der Lehrer über den Mund: „Hast du etwa nicht zugehört?“ Deswegen habe ich hier auch immer wieder Probleme mit stummen Klassen. Es kommen keine Nachfragen, wenn etwas unklar ist, und ich habe keine Ahnung, ob die Schüler mich verstehen oder nicht.  Das kann einen ziemlich aufregen.
Die Sache mit dem strukturierten und kritischen Denken ist ähnlich. In der Schule ist vor allem Bulimie-lernen angesagt: Reinstopfen und rauskotzen. Es wird wenig Wert gelegt auf vernetztes Denken, eigenständiges Arbeiten oder gar auf die Äußerung einer eigenen Meinung.
Die Sache mit der Meinung ist natürlich auch ein bisschen kulturell bedingt. Alles strebt nach Harmonie, und weil Meinung und Person untrennbar miteinander verbunden sind, finden kontroverse Diskussionen, so wie wir sie kennen (und lieben), meist gar nicht erst statt. Eine entgegengesetzte Meinung zu äußern wäre ja eine Beleidigung der anderen Person. Das ist für einen Menschen wie mich, der für sein Leben gern diskutiert, natürlich schwierig. Der westliche, direkte Kommunikationsstil wird hier oft als extrem unhöflich empfunden.
Und dann ist da noch die Sache mit dem Interesse am Weltgeschehen. Die Politikverdrossenheit ist ja noch einfach nachzuvollziehen. Ich wäre auch frustriert, wenn die einzigen Nachrichten aus der Politik die neuesten Korruptionsskandale sind. Da können wir in Deutschland mit unseren Skandälchen einpacken. Hier ist es eine Sensation, wenn ein Politiker mal nicht korrupt ist. Aber auch vom Superstorm Sandy hatte keiner der Schüler gehört. Ich kann nicht glauben, dass die große Mehrheit an Indonesiern dumm und uninteressiert ist. Ich kann mir die ganze Sache höchstens historisch versuchen zu erklären. Unter der holländischen Kolonialherrschaft war Bildung für die Massen natürlich unerwünscht. Und dann, kurz nach der Unabhängigkeit, kamen ja auch schon die Jahre der „gelenkten Demokratie“ unter Suharto. Dieser ließ erst mal fast eine Million Kommunisten, angebliche Kommunisten und eventuell mit Kommunisten in Verbindung Stehende umbringen. Danach hatte er dreißig Jahre lang ein Auge auf die Presse. Die ersten von der Weltgemeinschaft anerkannten freien Wahlen fanden erst 2004 statt. Viele Indonesier sind es wohl einfach nicht gewöhnt, freien Zugang zu Informationen zu haben. Außerdem stammen einige der Lehrmaterialien in den Schulen auch noch aus der Suharto-Ära.
Bei der Gelegenheit möchte ich auf eine gute Sammlung von Texten zur indonesischen Vergangenheit und Gegenwart hinweisen: http://www.bpb.de/apuz/75757/indonesien 

Das ist nur meine persönliche Sichtweise auf die Dinge. Natürlich ist es sicher auch so, dass sich viele Indonesier Zeitungen, Fernsehen oder Internet nicht leisten können. Allerdings haben die Schüler im IGTC alle Möglichkeiten, und die oben beschriebenen Erfahrungen habe ich größtenteils mit der Klasse aus den reichen Familien gemacht.
Auf jeden Fall weiß ich es jetzt wirklich zu schätzen, was wir in Deutschland für Möglichkeiten haben. Und an alle, die noch in der Schule sind: Genießt es, ihr wisst gar nicht, wie gut ihr es habt. Ihr würdet es vermissen. 

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