Ich weiß immer noch
nicht, was ich davon halten soll. Einerseits fühle ich mich hier sehr wohl, die Schüler und die Lehrer
sind alle total nett. Andererseits sehe ich hier auch vieles, was nicht so
optimal läuft. Ich bin hier hergekommen mit dem Ziel, alle meine Energie in
meine Arbeit zu stecken. Allerdings fühle ich mich hier leicht machtlos. Inzwischen
bin ich im regulären Stundenplan eingetragen, das heißt, ich bin jetzt ein
offizieller Englisch-Trainer. Ab sofort sind wir voll belegt, diese Woche haben
drei neue Klassen angefangen, MMQ 25, PPD 5 und PMF 17. Das heißt, alle Trainer
sind jetzt im Stress und voll beschäftigt. Für mich bedeutet das tägliche
additional classes.
Ich genieße die Additionals,
weil ich da endlich mal etwas tun kann, aber eigentlich hätte ich lieber in
meiner regulären Arbeitszeit mehr zu tun. Der Vorteil der Additionals ist, dass
ich komplett frei entscheiden kann, was ich machen möchte. Meistens mache ich
Spiele, in denen die Schüler zum Einen mutiger werden sollen zu sprechen, zum
Anderen Grammatikstrukturen sich besser einprägen. Der Nachteil ist, dass die
Klassen immer mindestens bis um sechs gehen. Das heißt, ich bin erst gegen acht
Uhr zu Hause. Da kann ich mit meiner Gastfamilie auch nichts mehr machen, ich
esse nur noch und gehe ins Bett. Deshalb bleibe ich jetzt ein bis zweimal in
der Woche über Nacht im Gästehaus. Das erspart mir die Reise und ist auch gut,
weil ich dann mehr Kontakt zu den Schülern habe. Ich kann mit ihnen in der
Kantine essen und zum Beispiel noch zum nächsten Supermarkt laufen.
Andererseits brauche ich auch den Abstand von meiner Arbeit. Mal sehen, wie
sich das entwickelt.
Außerdem ist auch der
Englischunterricht selbst ein bisschen ein Problem für mich. Die Schüler können
teilweise gar kein Wort Englisch, was es für mich natürlich schwer macht,
irgendetwas zu tun. Mein Indonesisch ist eben noch schlechter. Selbst bei den
MMQ-Klassen fehlen zum Teil sämtliche Grundlagen. Ich weiß nicht, wie ich da
etwas ändern kann. Es wird kein so großer Wert auf Grammatik gelegt, was ja
Sinn macht, Hauptsache, sie können sich verständigen. Aber wenn jemand
überhaupt keine Verben oder Artikel benutzt, versteht man auch nichts mehr.
Außerdem lernen sie dann mehr Phrasen auswendig, eigenständige Sätze können sie
nicht bilden. Leider können auch die Englisch-Trainer hier nicht so gut
Englisch, sie sind auch keine ausgebildeten Lehrer. Der Haupt-Englischlehrer
hier hat nicht mal Englisch studiert. Das ist dann halt problematisch, wenn
jemand Grammatik erklären soll, selbst aber ständig Fehler macht. Ich will
nicht sagen, dass meine Grammatik perfekt ist, sicher nicht, aber wenn ich
Grammatik erkläre, achte ich zumindest auf korrekte Beispielsätze. Noch ein
Problem ist, dass wir in jeder Stunde vorgegebene Themen haben. Der Lehrplan
ist festgelegt und so von den Sponsoren akzeptiert. Das wäre ja sinnvoll, wenn
es erstens ein festes Lernziel gäbe. Leider weiß ich einfach nicht, wo ich mit
meinen Schülern hinwill, was sie können sollten, was sie in ihrem Beruf auch
tatsächlich brauchen. Zweitens ist der Stundenplan ziemlich chaotisch. Es gibt
mit mir vier verschiedene Englisch-Trainer, jeder unterrichtet ein anderes
Thema. Das heißt, wenn für Simple Past zwei Stunden vorgesehen sind, dann hat
man eine Stunde Simple Past, dann drei andere Themen, und eine Woche später die
zweite Stunde. Kontinuität ist da schwierig. Auch die Einteilung, wie viele
Stunden für welches Thema, macht mal mehr, mal weniger Sinn.
Neulich hatten wir auch
eine Art Konferenz der Englisch-Trainer und mir ist aufgefallen, dass die
anderen auch eher ratlos sind. Das Problem ist, dass die Sponsoren bzw. die
zukünftigen Arbeitgeber ziemlich hohe Ansprüche stellen und sich anscheinend
oft über das Englisch der IGTC-Absolventen beschweren. Die Ansprüche sind
gestiegen, aber die Schulzeit von zwei auf ein Jahr verkürzt. Das heißt extrem
viel Stoff in extrem wenig Zeit, das zehrt dann auch an den Kräften der
Schüler.
Letzte Woche hatte ich
ein Treffen mit meinen Chefs. Sie meinten, was ihnen an mir gefällt, ist, dass
ich sehr strukturiert und gewissenhaft bin, aber sie erwarten von mir mehr Kreativität.
Ich soll meine eigenen Ideen einbringen. Es ist ja nicht so, als hätte ich
keine Ideen. Es ist nur, oft habe ich eine tolle Idee und weiß dann nicht, wo
ich anfangen soll oder wie ich sie umsetzen kann, wenn einfach keine Zeit für
zusätzliche Aktionen ist. Sorry, das ist alles schwer zu erklären.
Beispielsweise würde ich gerne eine Art Debattierclub gründen, das würde sicher
helfen, die Schüler zum Englischlernen zu motivieren. Oder eine Öko-AG. Schließlich soll IGTC nicht nur
das praktische Wissen vermitteln, sondern die Schüler auch zu verantwortlichen
Mitgliedern der Gesellschaft erziehen.
Das ist nur eine meiner
Ideen, von denen ich nicht weiß, wie ich sie umsetzen soll. So etwas würde
höchstens samstags gehen, aber da habe ich ja schon mit meiner Dancing Class
genug Probleme. Alle zwei Wochen komme ich hier morgens um acht Uhr her und gebe
Tanzstunden. Allerdings muss ich erst mal eine halbe Stunde durch die Dorms
laufen und mir ein paar Schüler zusammensuchen, jede Woche werden es weniger.
Von den 30, die sich angemeldet hatten, waren letztes Mal noch acht übrig.
Allerdings habe ich auch ein paar Schülerinnen, die jedes Mal kommen und
begeistert bei der Sache sind. Spaß macht es auf jeden Fall.
Hmm, ich glaube nicht,
dass ich das alles jetzt verständlich geschildert habe. Auf jeden Fall: Es ist
alles nicht so einfach.
Ich habe hier enorme
Stimmungsschwankungen, manchmal bin ich hochmotiviert etwas zu tun, manchmal
habe ich super Ideen, dann bin ich wieder total demotiviert, weil nichts
klappt. Manchmal komme ich strahlend aus dem Unterricht, weil mir das
Unterrichten total Spaß macht, dann bin ich wieder verzweifelt, weil ich mich
frage, wozu ich eigentlich hier bin.
Helen und Vera
Ich habe Helen und Vera
noch gar nicht erwähnt, oder? Das sind zwei Deutsche, die in Berlin
Bekleidungstechnik studieren und hier ihr Praxissemester machen. Sie haben hier
ganz verschiedene Aufgaben, sie überarbeiten Schnitte, verbessern das
Lehrmaterial, helfen in der Factory und geben ebenfalls Englischkurse, auch für
die Trainer.
Die Beiden leben nicht in
Gastfamilien sondern hier auf dem Gelände im Gästehaus. Für mich ist es ganz
gut, dass die Beiden hier sind. Wir können uns über unsere Eindrücke
austauschen und meistens verbringe ich die Mittagspausen bei ihnen in der
Küche, wo wir stundenlang reden könnten. Sie haben ähnliche Probleme wie ich
und manchmal klagen wir uns gegenseitig unser Leid. Was natürlich nicht heißen
soll, dass wir hier total unglücklich sind. Aber es tut gut, jemanden zu haben,
der aus der gleichen Kultur stammt, ähnlich denkt und gleichzeitig nicht dein
Vorgesetzter ist (unser Direktor ist ja Österreicher). Wenn ich in IGTC
übernachte, schlafe ich bei den Beiden im Gästehaus.
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