Samstag, 23. Februar 2013

Halbzeit


Wahnsinn. Jetzt bin ich doch tatsächlich schon seit sechs Monaten hier. Nächste Woche muss ich das Land verlassen, weil man nach 180 Tagen ja ein ganz neues Visum braucht. Bevor ich mich also für eine Woche nach Malaysia verabschiede, hier noch ein update über die letzten Wochen.

Vorletztes Wochenende hatten wir AFS- Midstay-Camp in Bandung. Das war vor allem deshalb schön, weil wir nach einem halben Jahr auch zwei der drei Freiwilligen aus Malang endlich mal wieder getroffen haben. Außerdem konnten wir uns über unsere bisherigen Erfahrungen austauschen. Dabei haben wir festgestellt, dass wir sehr unterschiedliche Highlights haben, aber im Prinzip die selben Probleme: Kommunikation. Dabei geht es nicht so sehr um die Sprachkenntnisse (mit denen wir allerdings auch alle eher weniger zufrieden sind), sondern mehr um die Art zu kommunizieren. Ich habe es ja glaube ich schon mal angesprochen, wie in den meisten asiatischen Ländern wird in Indonesien sehr indirekt kommuniziert. Das Problem dabei ist, dass man sich nie ganz sicher sein kann, was das Gegenüber genau meint. Man sagt nämlich so gut wie nie Nein. Also sind wir verunsichert, wissen nicht, was gemeint ist, oder haben ein schlechtes Gefühl, weil wir immer denken „Hm, vielleicht war das doch anders gemeint.“
Ob das Camp jetzt inhaltlich so viel gebracht hat, kann ich nicht sagen. Es war nicht ganz so informativ wie unsere Vorbereitungsseminare, aber ich glaube, ein bisschen motiviert hat es schon. Aber auf jeden Fall hat es viel Spaß gemacht und war viel zu kurz. Wir haben eine Angklung – Herstellung besichtigt, das sind traditionelle Instrumente aus Bambus, und wir waren in den Factory – Outlets shoppen, leider nur eine Stunde. Da muss ich nochmal hin, da gibt es Kleidung für ein Zehntel des deutschen Preises, nur weil die Knopfleiste ein bisschen verschoben ist oder so. Die ganzen großen internationalen Marken produzieren ja hier in der Gegend und in Bandung.

Meine persönliche Halbjahresbilanz ist gar nicht so einfach. Es ist immer noch so, dass ich Tage habe, an denen ich mich hier wirklich zu Hause fühle, und Tage, an denen ich das Gefühl habe, jetzt reichts.

Meine Familie ist immer noch das Beste hier. Mit meinen Schwestern verstehe ich mich immer noch super. Niki sehe ich jetzt allerdings nicht mehr, weil sie mit ihrer Familie nach Sumatra gezogen ist und wahrscheinlich erst zu Idul Fitri wieder nach Hause kommt. Da bin ich ja dann leider schon weg. Aber mit Mamah kann ich mich jetzt schon ein bisschen besser unterhalten. Ich bin immer noch überzeugt, dass ich die beste Familie bekommen habe. Mit ihrer Offenheit und Freundlichkeit haben sie mir das erste halbe Jahr deutlich erleichtert. Natürlich hilft es, dass außer Mamah alle entweder Deutsch oder Englisch können, aber trotzdem so viel wie möglich Indonesisch mit mir sprechen. Außerdem ist es hilfreich, dass alle schon im Ausland waren und mich besser verstehen können, wenn mich manche Dinge komplett in den Wahnsinn treiben, und mir dann auch Sachen erklären können. Und dass ich zwei Lehrerinnen in der Familie habe, die mir Tipps geben können, damit mich die Schüler nicht so fertig machen.

Mit meinen Sprachkenntnissen bin ich noch nicht so richtig zufrieden. Uns haben alle gesagt, nach drei Monaten könnt ihr Indonesisch. Das würde ich von mir nicht  behaupten.  Ja, ich verstehe schon das Meiste, im Teachers’ Meeting oder wenn ich mich mit meiner Familie unterhalte. Aber sprechen kann ich noch nicht so gut. Vor allem mein Vokabular ist noch nicht so groß. Das liegt aber auf jeden Fall an meiner eigenen Faulheit. Ich gelobe Besserung, nach sechs Monaten habe ich es jetzt auch endlich geschafft, mir ein Taschenwörterbuch zu kaufen. Jetzt kann ich zwischendurch mehr nachschlagen, und dann muss ich mir die Wörter nur noch merken können... Das große Problem ist, dass ich nicht so viel Gelegenheit habe zu sprechen. Im IGTC dürfen die Schüler ja während der Unterrichtszeit überhaupt kein Indonesisch sprechen, sonst müssen sie zahlen. Also spreche auch ich nur Englisch, und so bleibt mir nur zuhause.
Allerdings ist mein Indonesisch nicht so schlecht, wie hier manche denken. Als Bule bist du sowieso automatisch Native English Speaker, und alle wollen Englisch mit dir reden. Und neulich, als ich mit meinen Kolleginnen unterwegs war, haben die mir nicht einmal zugetraut mir allein ein Wasser zu kaufen. Ich weiß nicht, ob sie wissen, dass ich ihre ganzen Unterhaltungen verstehe...

Und dann ist da natürlich das IGTC, der Hauptgrund für meine gespaltene Meinung zu dem letzten halben Jahr. Einerseits weiß ich, dass es an sich ein gutes Projekt wäre. Andererseits sehe ich so viele Dinge, die besser laufen könnten, sowohl im Englischunterricht als auch in der ganzen Einrichtung. Zum Beispiel werden ja alle Unterrichtsstunden auf Englisch gehalten. Leider ist das Englischniveau sowohl der Schüler als auch mancher Lehrer (inklusive Englischlehrer) nicht so richtig hoch. Das heißt, ich kann gegen lange antrainierte Fehler („I want be a success person“) ewig ankämpfen, aber es kann gar nicht besser werden, wenn beispielsweise unsere Schulleiterin genauso spricht und manchmal sogar verschlimmbessert (also richtige Sätze falsch korrigiert). Und ich weiß nicht, wie viel von den Themen bei den Schülern hängen bleibt, wenn sie teilweise die Unterrichtsmaterialien nicht verstehen.
Ich habe hier auch schon Methoden gesehen, da stehen einem die Haare zu Berge. Einmal gab es einen Diebstahlfall. Also wurden einfach mal alle Schüler bis nachts um zwölf ohne Klimaanlage in einem Klassenzimmer eingesperrt, damit sich die schuldige Person meldet. Und wie die Schüler immer von der Schulleiterin angeschrien werden ist auch nicht schön. Die zittern teilweise richtig vor ihr.
Mit meinem eigenen Unterricht bin ich auch nicht so richtig zufrieden. Ich weiß nicht, wie viel bei der Klasse hängenbleibt, wenn manchmal einfach überhaupt keine Reaktion kommt. Ich weiß nicht, ob ich sie überfordere oder ob sie nur keine Lust haben oder ob mein Unterricht langweilig ist. Am liebsten unterrichte ich Grammatik, das ist am einfachsten. Nicht, dass sie es dann anwenden würden, aber vielleicht kommt das mit der Zeit.
Ich habe auch immer noch nicht so richtig viel zu tun, nur zwei Stunden im normalen Stundenplan und ein paar Additionals. Den Rest der Zeit weiß ich mich auch so zu beschäftigen, aber ich habe eigentlich keine Arbeit, ich bin immer noch nicht sicher, ob ich dem IGTC so viel nutze. Vor allem, weil man mich hier wohl auch eher als Praktikantin ansieht, das heißt, Bu Susi betont immer wieder, dass ich hier ja vor allem was lernen soll. Das will ich ja auch, aber eigentlich wollte ich ja nicht nur für mich selbst etwas tun. Wenn ich in Deutschland ein FSJ mache, dann mache ich das ja auch, damit ich anderen Menschen helfen kann. Deswegen bin ich mir nicht ganz sicher, ob das IGTC wirklich ausgerechnet IJFDler braucht. Und ich habe gestern erfahren, dass uns demnächst zwei große Sponsoren wegfallen, sodass wir mehr Selfpayer – Klassen machen müssen. Da weiß ich dann nicht, ob das Ganze noch ein richtiges soziales Projekt ist, wenn es sich nur noch die leisten können, denen sowieso alle Möglichkeiten offenstehen.
Außerdem glaube ich, dass ein Jahr Training zu wenig ist. Früher waren es zwei Jahre, aber dann wurde die Zeit verkürzt, ich weiß nicht warum, vielleicht aus Kostengründen. Für den Stoff reicht ein Jahr auch aus, aber für Englisch und solche Dinge wie selbständiges, strukturiertes und kritisches Denken braucht es mehr Zeit. Das sind meiner Meinung nach eher die wichtigen Dinge, alles andere lernen sie bei der Arbeit.
So, aber jetzt genug gemeckert. Es ist auch nicht alles schlecht hier. Meine Additional Class macht immer Spaß, vielleicht auch weil die Klasse mir sympathischer ist. Da bin ich auch freier mit der Unterrichtsgestaltung, letztes Mal habe ich ihnen Lieder vorgespielt und sie mussten die Songtexte ergänzen, und danach haben wir zusammen gesungen. Meine zweite Lieblingsaktivität ist die Dancing Class. Zwar weiß ich nie, wer kommt und wann, aber es kommt immer irgendjemand. Und weil wir jedes Mal von Null anfangen, komme ich auch nie in Verlegenheit, ihnen kompliziertere Figuren beibringen zu müssen, von denen ich wenn dann nur den Frauenschritt beherrsche.

Meine Ziele/Vorsätze für das zweite Halbjahr:
-       Indonesisch besser sprechen lernen
-       Mich nicht zu sehr über meine Arbeit aufregen
-       Mehr Verantwortung bekommen, vielleicht noch eine zweite Klasse
-       Kochen lernen. Nasi Goreng kann ich schon und im frittieren bin ich auch nicht so schlecht. J

So, jetzt geht es erstmal in den Urlaub. Ach nein, auf die Botschaft. Ich bin ja wirklich nur für mein Visum in Malaysia...